Draußen halten Menschen die Friedensfahne in den Händen und singen „We shall overcome“, drinnen bezeichnet die AfD-Kandidatin für Hessen eben diese Menschen als „hasserfüllten Mob“ und fragt rhetorisch, ob man denn auf den Flüchtlingsbooten schon einmal hungernde Kinder gesehen habe, das seien doch alles junge, starke Männer; mal abgesehen davon, dass auch diese nicht im Meer ertrinken sollten – nein, sind es nicht. Wer könnte das Bild des toten Kindes am Strand vergessen? Mariana Harder-Kühnel kann es offenbar. Die Atmosphäre ist gespenstisch, bullige Kerle mit schwarzen Armbinden rahmen die Pressevertreterinnen ein, große Mediashow unter anderem mit der Drohung, für neue Deutsche selbst zu sorgen.
Gefühlte Wahrheiten („In Frankfurt sehen Sie doch kaum noch unverschleierte Frauen“ – kaum möglich bei einem Ausländeranteil von unter dreißig Prozent) und falsche Zahlen („Im Jahr 2016 weist die Kriminalitätsstatistik erstmals mehr nicht-deutsche als deutsche Straftäter aus“ – hier hat Mariana Harder-Kühnel schlicht gelogen, es gab im Jahr 2016 2.022.414 Tatverdächtige, davon 616.230 nicht-deutsche) kennzeichnen diese Versammlung. Vorsitzende Frauke Petry wirft zwar nicht mit falschen Zahlen um sich, aber sie geht auch nicht näher darauf ein, was sie denn nun eigentlich sein soll, die „deutsche Identität“, an die sich alle anderen anzupassen haben. Sie spricht über klassische Musik, über Literatur, die es zu verteidigen gelte, und man fragt sich, wer ihr beides denn wegnehmen möchte? Und was kann es für einen Grund geben, auf Thomas Mann als Deutschen stolz zu sein (der dieses „wunderbare Land“, das es laut Mariana Harder-Kühnel zu retten gelte, während der Nazi-Diktatur verließ)? Kann ich ihn nicht einfach für einen wunderbaren Schriftsteller halten? Und was ist, wenn ich Hermann Hesse nicht leiden kann? Werde ich dann ausgebürgert? Im Übrigen müssten wir wohl viele Deutsche wieder ausbürgern, wenn ein Test zu den Buddenbrooks die Voraussetzung wäre, hier bleiben zu dürfen. Die Antwort, was an einem homogenen Nationalstaat – den es noch nie gab – , denn so großartig wäre, bleiben alle Kandidaten schuldig.
Stattdessen werden Andersdenkende diffamiert: Diesel wird laut Frauke Petry „von der grünen Lobby als Todesmaschine verleumdet“, die „traditionelle Ehe abgewertet“. Ersteres ist gar nicht nötig, weil sich die Branche gerade selbst demontiert, letzteres schon deshalb ein Paradoxon, weil man etwas, an dem man teilhaben möchte, ja aufwertet. In Schulklassen sei teilweise nur noch die Klassenlehrerin „Bio-Deutsche“ (was auch immer das sein soll), Menschen, die genug Geld für Schlepperdienste haben, müsse man nicht helfen. Die Forderung, das Strafmündigkeitsalter auf zwölf Jahre zu senken, zeigt, was der AfD Kinderrechte wert sind. Das Schlimme ist nur, den Zuhörern genügen diese Vereinfachungen, sie sind dafür sogar dankbar, die Verdrängungsmechanismen funktionieren offenbar. Warum haben diese Menschen nur so viel Angst vor der Vielfalt? Warum glauben sie, die Deutungshoheit beanspruchen zu können, was die „deutsche Identität“ anbelangt? Ob es 1933 so viel anders war? Das Gesetz gebe nur den Rahmen vor, in ein Grundgesetz könne man sich nicht integrieren, sagte Frauke Petry. Aber natürlich kann man – was könnte es Besseres geben als sich darauf zu einigen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind?
„Zu den dissidenten Strategien gegen Exklusion und Hass gehört deswegen auch, Geschichten vom gelungenen, dissidenten Leben und Lieben zu erzählen, damit sich, jenseits all der Erzählungen vom Unglück und von der Missachtung auch die Möglichkeit des Glücks als etwas festsetzt, das es für jeden und jeden geben könnte, als eine Aussicht, auf die zu hoffen jede und jeder ein Anrecht hat: nicht nur diejenigen, die der herrschenden Norm entsprechen, nicht nur diejenigen, die sich in dem Körper, in dem sie geboren sind, zurechtfinden, nicht nur diejenigen, die so begehren wie es die Werbeplakate oder die Gesetze vorschreiben, nicht nur diejenigen, die sich frei bewegen können, nicht nur diejenigen, die den „richtigen“ Glauben haben, die „richtigen“ Papiere, den „richtigen“ Lebenslauf, das „richtige“ Geschlecht. Sondern alle.“ (Carolin Emcke, Gegen den Hass)
Es handelt sich bei der AfD um eine gefährliche, nicht-demokratische Organisation. Deshalb: Lasst uns weiterhin friedlich protestieren, wo immer es geht! Leistet Widerstand!